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Coface analysiert die wirtschaftlichen Folgen der Sanktionen gegen Russland

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Die russische Invasion der Ukraine hat Turbulenzen auf den Finanzmärkten ausgelöst und die Erholung der Weltwirtschaft abrupt abgebremst. Eine wesentliche Rolle spielen die umfassenden Sanktionen des Westens gegen Russland und Belarus – ebenso wie enstprechende Gegenreaktionen. Die Volkswirte des Kreditversicherers Coface analysieren die wirtschaftlichen Folgen für ausgewählte Branchen und erläutern Gründe für eine drohende Stagflation.

Russland ist drittgrößter Erdöl- und zweitgrößter Erdgasproduzent der Welt und gehört zu den fünf größten Produzenten von Stahl, Nickel und Aluminium. Darüber hinaus ist es mit fast 20% des globalen Handels größter Weizenexporteur der Welt. Die Ukraine ist ein wichtiger Produzent von Mais, Weizen und Sonnenblumen und gehört zu den größten Erzeugern von Zuckerrüben, Gerste, Soja und Raps. Belarus, das Russland sein Territorium, die Infrastruktur und Versorgung für den Angriff bereitstellt, wurde ebenfalls von umfassenden EU-Sanktionen getroffen. Belarus ist einer der größten Produzenten von Pottasche und anderen Inhaltsstoffen für Düngemittel. Als Konsequenz dieser Gemengelage sind seit Beginn der Invasion die Preise für Erdöl, Erdgas, Metalle sowie Nahrungs- und Düngemittel sprunghaft angestiegen.

Energie- und Rohstoffmärkte unter Druck
Die hohen Rohstoffpreise waren bereits vor Ausbruch des Konflikts Störfaktoren für den globalen Aufschwung. „Die aktuelle Eskalation erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Preise länger hoch bleiben. Dies wiederum steigert die Gefahr einer lange anhaltenden hohen Inflation und erhöht damit das Risiko einer Stagflation, also geringes bis kein Wachstum bei steigenden Preisen“, sagt Coface-Volkswirtin Christiane von Berg. In der Folge drohten soziale Unruhen sowohl in Industrie- als auch in Schwellenländern. Die amerikanischen und britischen Embargos auf russische Ölimporte haben den Druck auf andere Länder und auf den Ölpreis (Brent) zusätzlich erhöht.

Automobilbranche: Lieferengpässe und hohe Rohstoffpreise
Der Konflikt wirkt sich auf den ohnehin angespannten Automobilsektor aus, da es zu verschiedenen Engpässen und hohen Rohstoffpreisen kommt, beispielsweise bei Metallen, Halbleitern, Kobalt, Lithium oder Magnesium. Ukrainische Automobilwerke beliefern große westeuropäische Automobilhersteller insbesondere mit Kabelbäumen – nun kündigten einige bereits Produktionsstopps von Werken in Europa an. Auch die Produktion westeuropäischer Autobauer in Russland wurde wegen hohen politischen Unsicherheiten und aufgrund von Problemen im Zahlungsverkehr zumindest kurzfristig eingestellt.

Transportbranche: Kaum Spielraum für Fluggesellschaften
Auch Fluggesellschaften und Seefrachtunternehmen werden unter den höheren Kraftstoffpreisen leiden, wobei die Fluggesellschaften am stärksten gefährdet sind. Erstens macht der Treibstoff schätzungsweise ein Drittel ihrer Gesamtkosten aus. Zweitens haben europäische Länder, die USA und Kanada russischen Fluggesellschaften den Zugang zu ihrem Hoheitsgebiet untersagt und im Gegenzug hat Russland europäischen und kanadischen Flugzeugen den Zugang zu seinem Luftraum untersagt. Dies bedeutet höhere Kosten, da die Fluggesellschaften fortan längere Strecken zurücklegen müssen. „Letztendlich haben die Fluggesellschaften jedoch wenig Spielraum für steigende Kosten, da sie aufgrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie weiterhin mit geringeren Einnahmen konfrontiert sind“, sagt Christiane von Berg. Auch der Schienengüterverkehr wird betroffen sein: Europäischen Unternehmen ist es untersagt, mit der russischen Eisenbahn Geschäfte zu machen. Das dürfte zu einer Unterbrechung des Güterverkehrs zwischen Asien und Europa im Transit durch Russland führen.

Chemiebranche: Steigende Preise und Düngemittel-Exportverbot in China
Die Coface-Experten erwarten, dass die Rohstoffe für die Petrochemie teurer werden und sich die steigenden Erdgaspreise auf die Düngemittelmärkte und damit wiederum auf die gesamte Agrar- und Ernährungsindustrie auswirken. Die drei Hauptnährstoffe in Handelsdüngern – Stickstoff, Kali und Phosphor – dürften von den aktuellen Entwicklungen betroffen sein. Die Stickstoffpreise sind bereits nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine sprunghaft angestiegen. Russland ist ein wichtiger Stickstoffexporteur, der jährlich 7 Millionen Tonnen Harnstoff auf einem Markt von 55 Millionen Tonnen exportiert. „Der Konflikt wird die Versorgungsprobleme noch verstärken, vor allem im Zusammenhang mit Chinas Exportverbot für Düngemittel bis Juni 2022, um die heimische Lebensmittelversorgung zu sichern. Der erhebliche Preisanstieg und die anhaltenden Turbulenzen werden die chinesischen Behörden nicht dazu bewegen, das Exportverbot aufzuheben“, sagt Christiane von Berg.

Agrar- und Lebensmittelbranche: Europas Kornkammer in Gefahr
Der Druck auf die – sich ohnehin bereits im Aufwärtstrend befindlichen – Agrarrohstoffpreise wird durch den Konflikt ebenfalls verstärkt. Im Jahr 2019 entfielen auf Russland und die Ukraine zusammen 25%, 21% und 17% der weltweiten Ausfuhren von Weizen, Gerste und Mais. Darüber hinaus stehen beide Nationen für etwa 75% der weltweiten Ausfuhren von Sonnenblumenkernen und Distelöl – beide werden als Speiseöl für den menschlichen und tierischen Verzehr verwendet. Da die Ukraine vorerst die kommerzielle Schifffahrt in ihren Häfen eingestellt hat und Russland das Asowsche Meer für Handelsschiffe sperrt, werden die Versorgungsunterbrechungen erheblich sein. Höhere Getreidepreise würden sich in höheren Verbraucherpreisen für Produkte wie Nudeln oder Mehl sowie Speiseöl niederschlagen. Außerdem würde dies zu höheren Fleischpreisen führen, da Mais und Grobgetreide als Futtermittel verwendet werden.
Quelle: Coface Finanz GmbH / Bild: Pixabay