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Air-Berlin-Chef Pichler fordert politischen Schutz

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Der neue Chef der zweitgrößten deutschen Fluggesellschaft Air Berlin fordert von der Politik eine koordinierte Aktion zur Stärkung der deutschen Luftfahrt. Im Interview mit der in Düsseldorf erscheinenden „Rheinischen Post“ (Freitagausgabe) sagte Pichler:
„Kein deutscher Politiker kann ernsthaft Verantwortung dafür übernehmen, wenn mit Air Berlin 9000 Jobs den Bach runtergehen würden.“ Den politischen Widerstand gegen die Code-Share-Flüge, bei denen unter anderem die arabische Etihad über Air Berlin auch Flüge in Deutschland anbietet, nannte Pichler „gefährlich“. „Anstatt uns mit Code-Share-Bedenken zu überziehen, sollte die Politik in Deutschland lieber ein Bündnis zur Stärkung der deutschen Luftfahrt schmieden und Überregulierung abschaffen. Die Angst vor den Arabern ist albern. In fünf Jahren drängen die chinesischen Fluggesellschaften auf den europäischen Markt. Dann haben wir ganz andere Spielregeln.“ Zur Sanierung der angeschlagenen Airline will Pichler das Angebot an den Flughäfen Düsseldorf, Berlin und Palma de Mallorca stark ausbauen. Zugleich will Air Berlin sich aus der Fläche zurückziehen. „Die dezentrale Herumfliegerei werden wir ausdünnen“, sagte Pichler der „Rheinischen Post“.
Das komplette Interview mit Stefan Pichler im von Air Berlin freigegebenen Wortlaut:
Sie sind seit drei Monaten Chef von Air Berlin. Ist alles noch schlimmer als gedacht?
Pichler: Wenn eine Gesellschaft über Jahre Geld verbrannt hat, muss man natürlich genau unter den Teppich schauen. Operativ hat Air Berlin zuletzt vor acht oder zehn Jahren Geld verdient – ich weiß das schon gar nicht mehr. Die derzeitige Lage ist finanziell und wirtschaftlich unbefriedigend. Da braucht man sich keine Illusionen zu machen. Im ersten Quartal lag der operative Verlust bei 160 Millionen Euro, besser als im Vorjahr, aber natürlich immer noch zu hoch. Das Minus beim Eigenkapital beträgt 560 Millionen Euro, von den 144 Flugzeugen, die wir betreiben, gehören uns noch elf.
Ist „unbefriedigend“ nicht stark untertrieben? Im Management kursiert der Begriff „prekär“, und Sie selbst sprechen öffentlich vom „letzten Schuss“ für Air Berlin…
Pichler: Nichts ist rosig, aber airberlin ist für 2015 finanziell ausreichend ausgestattet und wir haben natürlich auch eine starke Zusammenarbeit mit unserem Partner Etihad. Wir muessen alle Anstrengungen unternehmen wieder profitabel zu werden. Das wird uns auch gelingen. Zuvor waren Sie Chef von Fiji Airways und haben im südpazifischen Inselparadies gelebt. Warum gibt man sowas mit 57 nochmal auf? Pichler Man ist so alt wie man sich fühlt. Und ich fühle mich deutlich jünger. Meine Frau stellt mit Entsetzen fest, dass ich immer noch nicht erwachsen werde. Die Herausforderung bei Air Berlin hat mich gereizt: Es ist eine große Fluggesellschaft in einem großen Markt mit einem guten Produkt und mittelständisch geprägt. Ich habe mich immer gefragt: Wie ist es möglich, dass diese Gesellschaft so schlecht dasteht?
Was ist denn schief gelaufen?
Pichler: Die Gesellschaft ist zu schnell gewachsen und hat die Managementprozesse und die Strukturen nie ausreichend angepasst und integriert.
Ihre Vorgänger haben doch ständig Sparprogramme aufgelegt… Pichler: …das ist doch noch keine Strategie. Die Optimierung des Tagesgeschäftes ist für das Management Routine. Sanierung und Restrukturierung sind aber strategische Aufgaben. Bis heute hat die strukturelle Sanierung von Air Berlin noch nicht konsequent stattgefunden.
Und wie wollen Sie die Wende schaffen?
Pichler: Alles, was nicht zum Kerngeschäft gehört, müssen wir hinterfragen. Wir werden sicherlich mehr Dienstleistungen von außen einkaufen. Gleichzeitig müssen wir andere Unternehmensbereiche wie die zugekaufte LTU noch besser integrieren. In der Technik und in der Verwaltung zum Beispiel gibt es immer noch viel Doppelarbeit. Wir müssen unsere Größenvorteile in der IT besser nutzen. Den Vorstand habe ich weitgehend neu besetzt, in der zweiten Führungsebene finden die Änderungen gerade statt. Parallel dazu müssen wir das Geschäft an unseren wichtigsten Stützpunkten Düsseldorf, Berlin, Palma de Mallorca und anderen ausbauen und hier deutlich Marktanteile gewinnen. Das Geschäft läuft über diese Hubs, und gerade Düsseldorf ist immens wichtig für uns. Mit denen müssen wir deutlich mehr Geld verdienen. Im Umkehrschluss heißt das auch: Die dezentrale Herumfliegerei werden wir sicherlich etwas ausdünnen. Wir analysieren gerade unser Netzwerk und werden Details dazu in einigen Wochen vorstellen.
Was genau wird in Düsseldorf passieren?
Pichler: Hubs wie Düsseldorf wollen wir massiv ausgeweiten. Eine von vielen Verbindungen, die wir in Düsseldorf stärken, ist die nach Curacao. Es kommen auch neue Destinationen hinzu, wir erarbeiten gerade die Pläne. Auf jeden Fall planen wir fest mit den neuen Möglichkeiten in Düsseldorf ab dem Jahr 2017, wenn die neue Betriebsgenehmigung gilt.
Das hört sich so an als wäre das schon beschlossene Sache, noch ist nichts genehmigt…
Pichler: Ich habe da volles Vertrauen in die Geschäftsführung des Düsseldorfer Flughafens, dass es gelingen wird, die Kapazitätserweiterung durchzukriegen. Die Stadt Düsseldorf, das Land NRW und der Airport sind ja gleichermaßen auf Wachstum am Flughafen Düsseldorf angewiesen. Deshalb bin ich sicher, dass der Flughafen mehr Starts und Landungen genehmigt bekommt. Air Berlin kann nur wachsen und gedeihen, wenn Düsseldorf mehr Starts und Landungen hergibt. Heute haben wir einen Marktanteil in Düsseldorf von 31 Prozent. Den müssen wir steigern. Zum Vergleich: Die Lufthansa hat an ihrem Hub in Frankfurt einen Anteil von ca. 65 Prozent.
Wieviel Zeit haben Sie für die Sanierung?
Pichler: Unser Großaktionär Etihad hat uns in der Vergangenheit viel geholfen. Wenn unsere Sanierungserfolge sichtbar werden, gewinnen wir Zeit und Vertrauen Solange alles in die richtige Richtung geht, haben wir sicher weiterhin die volle Unterstützung. Aber das heißt auch: Jetzt müssen wir es schaffen!
Wofür soll die Marke Air Berlin in fünf Jahren stehen? Pichler: Ich sehe den Markenkern in drei Dimensionen: Emotional, progressiv, edgy, und international im Verbund mit Etihad und oneworld. Als etabliertes Non-Establishment. Ein bisschen wie früher die britische Fluggesellschaft Virgin.
Wie reagieren Sie auf die neue Billig-Langstrecke der Lufthansa?
Pichler: Gar nicht. Die müssen erst mal beweisen, dass das klappt. Auf der Langstrecke funktioniert das Billig-Konzept nicht so effektiv wie auf der Kurzstrecke, weil die Nicht beeinflussbaren variablen Kosten in der Relation zu den beeinflussbaren Kosten hoch sind. Den größten Kostenblock machen die Spritkosten aus. Da kommen Sie auf der Langstrecke nicht gegen an, weil alle dieselbe Zeit fliegen.
Werden Sie von der deutschen Politik ausreichend unterstützt?
Pichler: Kein deutscher Politiker kann doch ernsthaft die Verantwortung dafür übernehmen, wenn mit Air Berlin 9000 Jobs den Bach runtergehen würden. Gewisser politischer Widerstand gegen unsere Code-Share-Flüge mit Etihad ist gefährlich: Wir brauchen diese Struktur, bei der Etihad ihr Angebot in Europa über uns und den deutschen Markt abwickelt, für unser Netz.
Ihre Wettbewerber beklagen, dass ihnen damit eine staatlich subventionierte Golf-Airline das Geschäft im Heimatmarkt streitig macht…
Pichler: … das ist Unsinn. Die Lufthansa bietet in anderen Ländern selbst auch Codeshare-Flüge in Kooperation mit anderen Fluggesellschaften an. Das ist Marktliberalisierung. Die kann man nicht aufhalten. Anstatt uns mit Code-Share-Bedenken zu überziehen, sollte die Politik in Deutschland lieber ein Bündnis zur Stärkung der deutschen Luftfahrt schmieden und die Überregulierung abschaffen. Diese Angst vor den Arabern ist albern. In fünf Jahren drängen dann sicherlich die chinesischen Fluggesellschaften auf den europäischen Markt. Mit einem gigantischen 1,3 Milliarden Menschen Heimatmarkt. Dann haben wir ganz andere Spielregeln. Dagegen kann man sich nicht dauerhaft mit Protektion schützen.
Die Anteile des arabischen Staatscarriers Etihad an Air Berlin werden immer größer. Wann ist eine Fluggesellschaft noch deutsch?
Pichler: Das ist eine falsche Debatte. Die Deutsche Bank oder Siemens haben auch ausländische Aktionäre, und gelten unbestritten als deutsche Unternehmen. Es ist doch nicht die Frage des Eigentümers, der über die Nationalität einer Firma entscheidet. Es geht darum, wo die Wertschöpfung stattfindet, wo Jobs erhalten werden, wo Geld in andere Firmen fließt, wo die Kunden leben. Air Berlin ist ganz klar eine deutsche Fluggesellschaft. Von 100 Euro Ticketerlösen werden bei uns sicherlich mehr als 80 Euro in Deutschland re-investiert.
Sie wollen die Ticketpreise erhöhen. Um wieviel?
Pichler: Da muss ich Ihnen widersprechen, die Ticketpreise werden nicht erhöht, sie werden nur im Durchschnitt erhöht. Mit 44 Euro Einstiegstarif haben wir gerade im letzten Monat ein neues, günstigeres Angebot geschaffen.
Werden Sie nun teurer, oder nicht?
Pichler: Wir verkaufen keine teureren Tickets, wir senken nur die absolute Zahl der Discount-Tickets. Ist eine bestimmte Anzahl der Sitze durch Frühbucher reserviert, gehen in die Preise in eine höhere Klasse. Das machen alle Airlines so, wer zwei Tage vor Abflug bucht, zahlt mehr als einer, der dies ein Jahr im Voraus erledigt. Das ist ganz normal und das wurde bei uns in der Vergangenheit oft versäumt. Damals haben wir die Flieger mit Billig-Tickets ausgelastet, und als die Kunden mit höherer Zahlungsbereitschaft kurzfristig buchen wollten, waren die Flieger schon voll.
Viele Kunden klagen über den Kundenservice bei Air Berlin. Was tun Sie dagegen?
Pichler: Zurzeit arbeiten wir an einem verbesserten Beschwerdemanagement. Unser Ziel: Innerhalb von 24 Stunden erhalten Menschen, die sich beschweren, eine erste Antwort. Innerhalb einer Woche gibt es eine dezidierte Entscheidung. Versprochen.
Quelle: Rheinische Post